Als VJ auf dem Pulverfass
Drei Tage im Baskenland. Ein kurzes Tagebuch.
1 Uhr: Montag, 22.10. Ich liege endlich im Bett. 460km sind es von Madrid. Mir bleiben fünfeinhalb Stunden Schlaf. Um 7.30 Uhr muss ich im Nachbarort sein, eine Ratssitzung hinter verschlossenen Türen. Ich will die Ankunft der Stadträte filmen.
7.20 Uhr: Ich bin vor Ort. 6 Grad, ein paar Leute stehen vor der Rathaustür, doch es sind keine Stadträte. Ich nutze die Zeit für ein paar Shots in der Dunkelheit. Kurz darauf kommen erste Polizisten mit Helmen, Schlagstöcken und Plastikschildern.
7.40 Die Leute vor der Tür nutzen einen Moment der Unachtsamkeit und stehen im Vorraum des Rathauses. Ich bekomme noch einen Teil der Szene mit. Sie sind Anhänger der linksradikalen Partei ANV, die wegen ihrer Verbindung zur ETA-freundlichen Batasuna hier in diesem Ort verboten wurde.
7.43 Es geht sehr schnell. Plötzlich sind gut zehn Polizisten zusammengezogen, gehen in den Vorraum und mit Knüppeln wird die Gruppe aus dem Rathaus getrieben. Es sind beeindruckende Bilder, die ich mit der Kamera hoch über meinem Kopf einfange. Neben mir sind nur noch zwei Fotografen dabei.7.45 Die Gruppe wurde gegenüber des Eingangs zusammengetrieben. Während die Protestierenden ein Transparent vor sich halten, verlangt ein Polizist meinen Presseausweis.
7.46 Ich habe gerade noch Zeit, den Aufnahmeknopf zu drücken. Ohne ersichtlichen Grund prügeln die Polizisten nun auf das Plakat und die es haltenden Personen ein. Die Bilder auf dem kleinen Bildschirm der Kamera lassen mich erschrecken. Die Gruppe wird gut 20 Meter vom Eingang des Rathauses auf Distanz gehalten.
7.48 Die Fotografen stürmen plötzlich nach hinten. Ich drehe mich um, sehe, wie der Bürgermeister mit zwei Leibwächtern auf eine Treppe zum Hinterausgang zusteuert. Die Demonstranten beschimpfen ihn, ich versuche, ein paar Bilder von ihm zu bekommen. Dass sie verwackelt sind, macht nichts, schließlich geht es im Laufschritt die Treppe runter. Blöd nur, dass ich die Schrauben meines Kopflichtes nicht nachgezogen habe und es mir für ein paar Sekunden unbemerkt im oberen Bildrand hängt. Der Bürgermeister fährt davon.
7.50: Die Fronten sind geklärt. Ein paar Demonstranten schreien die Polizisten an, die haben sich aber beruhigt.
8.00: Beide Seiten bauen Personal ab, ich mache ein Interview mit den Demonstranten für den Abend klar und suche ein Café. um mich aufzuwärmen.
9.00: Einer der Stadträte ruft mich an, erklärt mir, dass sie sich in einem Nachbarort treffen mussten. Wir verabreden uns für den frühen Mittag in Bilbao, gu 60km entfernt. Mir bleibt Zeit, ein paar Details des Ortes zu drehen, Bilder, die man für eine solche Geschichte immer braucht.
11.30: Es ist üblich bei Politikern im Baskenland, dass man sich zuerst in einem Hotel trifft, der Sicherheit wegen. Doch ein Interview ist dort sinnlos, Schnittbilder sähen wie aufgesetzt aus. Also verabreden wir uns für den Nachmittag. Ich nutze die Zeit, bitte im Guggenheim Museum um eine Drehgenehmigung für eine Ausstellung mit Fotos rund um das Thema ETA. Eine halbe Stunde später bekomme ich das OK, später habe ich sogar eine Interview-Partnerin. Wenn alles immer so schnell ginge. Die Umsetzung geht reibungslos. Das Interview mache ich von links, so dass ich die Kamera immer im Blick habe.
17.00: Das Interview mit dem Politiker. Ein paar Szenen am PC sind als Schnittbilder ok, schließlich schreibt er einen Blog über seine Situation. Das Gespräch dauert lange, ich will langsam auf die Fragen hinarbeiten. Platz ist genug auf dem Tape und das Krawatten-Mikro ist die beste Wahl hinterm Schreibtisch. Abschließend noch ein paar Bilder auf der Straße. Von hinten sieht man auch die Leibwächter – ein Eingeständnis, um sie überhaupt filmen zu können.
18.00: Zurück nach Deba, das Hotel ruft. Und der Vertreter der Linksradikalen hat sich nicht gemeldet. Erst später am Abend schlägt er ein Treffen am nächsten Tag vor.
Dienstag, 23.10.: Dauerregen.
9.30: Der Interviewpartner lässt sich Zeit.
10.30: Er ist da. Ein paar Meter von der besagten Rathaustür stehen wir und führen das Interview. Mein kleiner externer Monitor versagt seinen Dienst, die Batterien sind leer – ich muss ihn gestern angelassen haben. Dennoch wage ich mich auf die rechte Seite der Kamera, kontrolliere und ändere zwischen den Fragen immer wieder mal den Ausschnitt. Der Mann steht relativ ruhig, kein Problem.
11.15: Ich kaufe mir Zeitungen, vergleiche die Berichte über den Zwischenfall vom Vortag. Erstaunlich, wie sehr die Beschreibungen auseinander gehen. Ein interessantes Element, das Teil der Reportage werden soll und sich perfekt den falschen Diskussionen über die Fotos im Guggenheim anschließt.
13.00: Wegen des Wetters ist nicht viel mehr möglich. Im Hotel digitalisiere ich das Material in den Laptop, treffe eine Vorauswahl der O-Töne, mache mir Gedanken, wie ich einen Aufsager einbauen könnte.
Mittwoch, 24.10.
9.00: Interview mit dem Bürgermeister. Er ist ein ruhiger Mensch, sitzt auf seinem Stuhl, ich setze mich rechts neben die Kamera, rücke später aber rechts hinter die Kamera und sehe so einen Teil des Bildes. Das Ansteckmikro leistet auch hier gute Dienste. Zwischen den Fragen ändere ich den Ausschnitt. Wichtig ist mir immer, meinem Interviewpartner im ruhigen Ton zu sagen, was ich mache und warum. Das stört die Atmosphäre weniger als hektisches Aufspringen zur Kamera.
9.40: Nur mit der Kamera gehe ich auf die Straße und frage ein paar Leute nach ihrer Meinung zur Politik. Das Mikro der Kamera ist ausreichend dafür. Allerdings freue ich mich auf mein Weitwinkel, um die Menschen doch noch etwas näher heranzuholen.
10.10: Zum Abschluss noch der Aufsager. Um diesen richtig einzustellen, habe ich ein Lichtstativ dabei. Das passe ich auf meine Größe ab, suche mir einen guten Bildausschnitt, stelle es an der Stelle auf, wo ich später stehen werde. Ich ziehe die Schärfe auf das Rohr des Stativs, drücke auf Record und stelle mich an die Stelle des Stativs. Gestern las ich etwas über Kreide. Eine gute Idee, so muss ich keine Gegenstände mehr auf den Boden legen, um mir die Position genau zu merken.
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